Selbstversuch: So radikalisiert TikTok österreichische Teenager


Das Bild zeigt Tiktok Screenshots von Putin, Xi, Trump, Haider, Weidl etc.

TikTok wird beschuldigt, extremistische Inhalte aller Art zu verbreiten: Der Taylor-Swift-Dschihadist soll sich über das soziale Netzwerk radikalisiert haben. In Rumänien hat offenbar ein Botnetzwerk via TikTok jüngst einen völlig unbekannten prorussischen Kandidaten zum Wahlsieger gemacht. Das klingt nach Panikmache! Wie schlimm ist die App aus China wirklich? Zeit für einen Selbstversuch.

Bereits weit über eine Milliarde User in aller Welt nutzen TikTok jeden Monat. Besonders beliebt ist die App bei jungen Österreicherinnen und Österreichern: Zwei von drei Jugendlichen im Alter von 11 bis 17 Jahren nutzen den Dienst – und 80 Prozent davon sogar täglich.

Was sehen junge Menschen aus Österreich wirklich, wenn sie TikTok erstmals öffnen? Das werden wir jetzt herausfinden.

Die Methodik

Wir registrieren uns mit Wegwerf-Emails und erstellen neun Accounts von fiktiven österreichischen Teenagern aus je einem der neun Bundesländer. Alters- oder Identitätsnachweise verlangt die App keine.

Dann starten wir eine Bildschirmaufnahme und scrollen uns für zehn Minuten durch den Videofeed. Die Suchfunktion verbieten wir uns, wir liken und kommentieren nichts, um dem Algorithmus keine Infos zu geben, was wir gut oder schlecht finden. Einzig und allein der perfekte chinesische Code soll entscheiden, was junge Österreicherinnen und Österreicher zu Gesicht bekommen.

Lara, 16 (Wien)

Der erste Account ist erstellt: Lara, 16 Jahre alt, aus Wien. Das Screen-Recording startet, sie beginnt zu scrollen. Wie schlimm kann es schon werden? Tatsächlich ist ihr Feed sehr harmlos und enthält auf fünf Sekunden komprimierte Lebensweisheiten, aber auch den einen oder anderen Koranvers. Darüber regen sich also alle auf? Wir sind enttäuscht.

Maya, 18 (Burgenland)

Teenagerin Maya aus dem Burgenland gibt nach der Installation der App und vor ihrer Registrierung ihre Interessen an: Anime, Promis und Memes. Was sieht Maya zuerst: Ein lustiges Promi-Meme über Taylor Swift? Oder einen Ausschnitt eines neuen Anime-Blockbusters aus Japan? Überraschung! In der allerersten Sekunde auf TikTok taucht bereits ER auf, er, der Allmächtige: unser Jörgl! Jörg Haider warnt im Jahr 2024 unsere Teenagerinnen vor Ausländern. Scrollt man weiter, kommen Polizeivideos, nochmal Jörg Haider, russische Propaganda. Wir wussten nicht, dass TikTok so eine Art Pornhub für Herbert Kickl ist.

Laut der App träumen alle Teenagerinnen zwischen Eisenstadt und Oberwart aber offenbar von Männern wie Haider, Putin & Co. Der Algorithmus nimmt Fahrt auf, sein Motto: „Du bist, was du siehst“. Schon bald hat Maya vergessen, dass es Animes und Promis überhaupt gibt, ihr Tunnelblick fokussiert sich auf Jörgl und den Vokaki, und wenn sie am Weg zur Schule durch TikTok scrollt, begleitet sie rechtsradikale Propaganda, frei Haus geliefert direkt aus China. 

Lea, 16 (Niederösterreich)

Harmloser geht es bei unserem Selbstversuch in Niederösterreich zu. Dort müssen die Leute offenbar nicht mehr radikalisiert werden, weil sie eh schon einen Liederbuch-Nazi an die Macht gehievt haben. Das allererste Video ist ein Song vom Tomorrowland-Festival, immerhin passend zu Niederösterreich: L’Amours Toujours. Lea bekommt süße Tiervideos, Songs, halblustige Sketches und immer wieder Sinnsprüche zu den Themen Liebe & Horoskope. 

Bald driftet Lea in eine Bubble aus Neo-Esoterik, katholischen Botschaften und Horoskop-Weisheiten ab. Nach etwa zehn Minuten werden kaum noch Tiervideos oder Gags angezeigt, die Videos werden düsterer, der Tonfall martialischer und esoterischer. Die App erkennt, was Teenagerinnen heutzutage brauchen, wenn sie Herzschmerz haben. Keine Gespräche mit Freundinnen oder Briefe ans Bravo Dr. Sommerteam, sondern seelenlose AI-Videos wo eine AI-Muttergottes oder ein AI-Krieger dir einreden, dass du scheiße bist, weil du im Sternzeichen Widder bist. 

Simon, 15 (Steiermark)

Simon hat einen schweren Start in seine TikTok-Karriere. Schon als eines der ersten Videos bekommt er eine Après-Ski-Meute in der Hexenalm Fiss, die grölt: „Und ihre Puffmama heißt Layla“. Da ahnt er noch nicht, wie schlimm es wird. Schon nach wenigen Videos macht Donald Trump seinen Trump Dance, dann schreit eine Rekrutin des Bundesheeres: „Mein Vaterland“, dann wieder Trump, zu den Klängen von „YMCA“ imitiert er einen Golfabschlag, die Caption dazu: „2 days until we fire Kamala.“

Wenige Videos weiter schwingt eine goldene Türe auf und Wladimir Putin marschiert entschlossen auf die Kamera zu. Jörg Haider beschimpft in schwarzweiß aus dem Jenseits „Sozialschmarotzer und Sandler“. Danach: Trump, Trump, Trump, jedes zweite Video. Dann Haider, Putin und Xi Jinping, zur Auflockerung Après Ski, Alice Weidel, Kickl.

Nach zehn Minuten entschließt sich TikTok dazu, Simon zur Einbürgerung nach Russland einzuladen: „Wir bieten ihnen Arbeit, ein Haus, eine russische Ehefrau und militärische Ausbildung“, verspricht ein vorgeblicher Putin dem 15-Jährigen Steirer. Er müsse sich nur unter „einbü[email protected]“ bewerben. Genial: Wer braucht noch die Matura, wenn er solche Jobangebote kriegt? Wir müssen uns keine Sorgen um unsere Kinder machen, das AMS ist überflüssig, TikTok regelt das.

Jakob, 16 (Oberösterreich)

Bereits nach wenigen Videos mischt der Algorithmus Trump in Jakobs Feed, viele Videos sind AI-generierte Fakes. Auch eine Info über einen vermeintlichen Tesla um 5000 Dollar inkl. Fake-Foto von Elon Musk ist dabei. 

Einige Videos weiter tauchen dann Koranverse auf, der Prophet Mohammed warnt eindringlich vor Ehebruch – ein wichtiger Hinweis für einen 16-Jährigen. Dann wieder ein Fake-Trump-Video, es ist ein wilder Ritt. Gegen Ende geht der Anteil islamischer sowie islamistischer Videos gegen 100%, nur unterbrochen von einem Fake über ein nicht existentes Tesla-Smartphone. Auch ein schnelles Durchscrollen hilft nichts mehr, der Algorithmus zeigt Jakob am Ende des Versuchs nur mehr Verse aus dem Koran. Inshallah! Liebe TikTok-Leute: Ja, Oberösterreich ist ein Gottesstaat, aber da habt ihr etwas falsch verstanden… 

Emma, 16 (Salzburg)

Mmm, Dubai Schoki! Emmas TikTok Karriere beginnt harmlos, die chinesische App weiß ganz genau, was die wahren Träume dieser Teenagerin sind: Mit Pistazie gefüllte Schokolade, Donald Trump, die Polizei, Elon Musk und Joe Rogan. Im Sekundentakt wird man damit bombardiert, sie könnte wohl noch zehn Tage weiterscrollen, ohne je auf ein Video von Alexander Van der Bellen oder Andreas Babler zu stoßen. Wenigstens in Salzburg ist die Welt noch in Ordnung. 

Noah, 16 (Kärnten)

Es startet recht normal, das ein oder andere Fake-Trump-Video abgesehen. Eine maskuline AI-Stimme rät Noah: „Manchmal ist Schweigen der beste Weg, um mit deinen Emotionen umzugehen.“ Dann taucht ein vertrautes Gesicht auf: Herbert Kickl! Nahtlos geht es über zu Jörg Haider, der über Sozialschmarotzer schimpft.

Einige Polizei- und Haidervideos weiter sieht auch Noah die Einladung von Wladimir Putin, nach Russland zu kommen. Cool! Dort kann er sich ja mit Simon aus der Steiermark anfreunden. Ab jetzt steigt der Anteil rechter und prorussischer Videos merklich an. Ein FPÖler aus der fünften Reihe schimpft über das Denkmal für den „Asylbetrüger“ Marcus Omofuma, der demnach „bei seiner Abschiebung verstarb“. Dass Omofuma von Polizisten mit Klebeband erstickt wurde, erwähnt er nicht. Noah ist angekommen. 

Anna, 14 (Tirol)

Anna ist ein relativ entspannter Start vergönnt. Raf Camora steigt auf ein Autodach und rappt über ein Auto. Wird das hier glimpflich ausgehen? Nein. Nach Polizei- und Abschiebungsvideos geht es auch bei Anna richtig los. Ein seltsamer Glatzkopf aus Deutschland lobt das Wirtschaftswachstum von Russland und Putin.

Wir alle wissen bereits, was jetzt passieren wird. 

Putin marschiert auf die Kamera zu. Trump schaut vorbei. Und auch Anna muss den Vokaki ertragen. Dann wieder russische Propaganda. Trump. Waffenvideos. Putin. Wieder der seltsame deutsche Glatzkopf mit Anti-EU-Propaganda. Putin. Trump. Putin. Trump. Seltsamer deutscher Glatzkopf. Und zum versöhnlichen Abschluss nach zehn Minuten noch Jörg Haider, wie er auf einer Blumenwiese sitzt. Völlig angemessene Inhalte für eine 14-Jährige. 

Elias, 17 (Vorarlberg)

Zum Glück neigt sich der Selbstversuch bereits dem Ende zu, doch es wird noch einmal wild.

Der Algorithmus kann sich nicht ganz entscheiden, ob Elias rechtsextrem oder islamistisch radikalisert werden soll. Dazwischen darf ein Video von Andrew Tate, der in Rumänien wegen mutmaßlichem Menschenhandel einsitzt und Frauen das Wahlrecht wegnehmen will, nicht fehlen. Am Ende warten nur mehr Koran-Videos, unterbrochen von zwei eingestreuten Clips der Arbeiterkammer, die Sozis versuchen offenbar, Elias noch im letzten Moment dem Islamismus zu entreißen. Was für ein Fotofinish!

Epochales medienpolitisches Fiasko

Wir legen die Smartphones weg, das Gesehene lässt uns ratlos zurück. 

Noch vor drei Jahren startete auch die Tagespresse einen Account auf TikTok. Eines unserer ersten Satire-Videos über eine Waldorf-Fahrschule, wo man auch gegen die Einbahn fahren darf, wurde von TikTok damals nach wenigen Minuten gesperrt. Die Begründung: „Propagierung einer gefährlichen Handlung“. Doch seitdem dürfte sich auf der Plattform so einiges geändert haben.

Reisen bald womöglich zehntausende rechtsextreme, islamistische Teenager aus Österreich zur Einbürgerung nach Moskau, um dort ihre versprochene Ehefrau entgegenzunehmen und an der Front zu sterben? Weiß Wladimir Putin überhaupt, was da auf ihn zurollt? 

Wir sind uns sicher: Diese Missstände sind der Medienpolitik doch sicherlich schon längst bekannt. Oberste Priorität. Um die Demokratie nicht zu gefährden, wird sicher bereits etwas gegen die Islamisten-Katholiken-Nazi Propaganda getan. Oder?

Wir suchen online nach Statements von Medienministerin Susanne Raab über TikTok, über die hybride Kriegsführung Russlands und über die rechtsextreme und islamistische Propaganda in den Kinderzimmern – und finden: Nichts. Niente. ничего. (Anm.: Wir sprechen mittlerweile fließend Russisch). Wir finden nicht einmal einen Beleg dafür, dass Raab das Wort „TikTok“ jemals in den Mund genommen hat.

Also stellen wir ihrem Presseteam einige Fragen:

  • Was hält die Medienministerin davon, dass 68% der jungen Menschen hierzulande TikTok nutzen?
  • Hat die Medienministerin eine Meinung dazu, dass TikToks Eigentümer-Konzern ByteDance im Jahr 2014 ein internes Kontrollorgan der chinesischen Kommunistischen Partei eingerichtet hat, und der sich laut Äußerungen hochrangiger Manager der Verbreitung der Ziele und Werte der KP verpflichtet fühlt?
  • Würde sie ihren Kindern TikTok erlauben?

Zuerst fragt uns ihr Pressesprecher via Telefon, ob unsere Anfrage tatsächlich ernst gemeint ist. Danach herrscht Funkstille, Antworten erhalten wir keine.

Ministerin Raab zieht es anscheinend vor, ihre Tradition des Schweigens zur gefährlichsten medialen Waffe seit der Erfindung des Volksempfängers fortzusetzen, und sich lieber weiter mit den wirklich wichtigen Dingen zu beschäftigen. Etwa mit der Frage, wie man die VÖZ-Mitglieder mit noch mehr Steuergeld beglücken kann. Denn im Print liegt ja bekanntlich die Zukunft.

Susanne Raab tut, was sie am besten kann: Schweigen.

Wer kennt es nicht: Das eigene 13-jährige Kind kommt von der Schule heim, wirft das Handy in die Ecke und verschwindet stundenlang mit dem Freizeit-Kurier im Zimmer, um sich in einer Homestory bei Armin Assinger zu verlieren. Möglich ist aber auch, dass sich Raab selbst auf TikTok radikalisiert hat und bereits auf dem Weg in den Islamischen Staat oder nach Russland ist. Wir fragen uns inzwischen auch, ob Susanne Raab ernst gemeint ist. Antworten auf unsere Fragen erhalten wir keine.

You had one job, Susanne!

Fazit

Am Ende dieses Selbstversuchs fällt es schwer, die eigenen Empfindungen in Worte zu fassen, während wir uns uns Millionen abgestorbener Gehirnzellen von unseren Schultern putzen, die uns während dem Scrollen durch die App aus den Ohren gerieselt sind. Unsere Gehirne fühlen sich um einige Millionen Hirnzellen leichter an, der IQ ist vom Scrollen um gefühlt 12 Punkte gesunken. Auch Alkohol und Psychopharmaka helfen da nicht mehr. 

Wir können uns nicht mehr entscheiden: Sollen wir Koranverse zitieren und im Namen Allahs das Tomorrowland Festival sprengen? Oder der katholischen Kirche beitreten, bis Putin uns mit einer Neonazi-Braut versorgt, die im Sternzeichen Widder ist?

Nur eines ist sicher: Danke für alles, Jörg!

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  1. Darf ich anregen, diesen Artikel in seiner Gesamtheit so öffentlich wie möglich zugänglich zu machen? Erstens checken vielleicht viele Menschen, WIE ERNST die Sache ist, zweitens steht euch allein für dieses Selbstexperiment rückwirkend die Presseförderung von mindestens 10 Jahren zu, fänd ich angemessen 😘

      1. Auch von mir ein herzliches Danke!

        Für diesen wichtigen Artikel und dass ihr ihn frei zugänglich macht.

        Auch wenn mir beim Lesen dieses einen Artikels das Lachen im Hals stecken bleibt.

        Die paar Euro für das Abonnement waren eine mehr als nur gute Investition.

      2. Link bereits fleissig verschickt.

        Liebe TP: Es wäre sehr interessant, in ein bis zwei Wochen die Reichweite dieses Artikels zu erfahren.

    1. Ich bin gerade perplex, habe nach dem Erscheinen des Artikels einen Selbstversuch gestartet.
      Der Artikel stimmt was die Recherche betrifft stimmt Wort für Wort.

      Fakemail erstellen und Account Anlegen
      10 Minuten
      Unm die im Artikel vorhanden Fakten zu überprüfen
      20 Minuten

      Gibt mir einiges zu Denken

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