Das Wiener Straflandesgericht spricht Günther R. nicht rechtskräftig frei. Der Wiener Pensionist hatte die „Heute“-Zeitung in einem Posting auf X.com als „Scheißblatt“ bezeichnet. Herausgeberin Eva Dichand hatte daraufhin eine Privatanklage gegen R. wegen Beleidigung eingebracht.
Vergangene Woche berichteten wir über die drei Klagen von „Heute“ gegen den Pensionisten Günther R. wegen eines Tweets, in dem er die Zeitung als „Scheißblatt“ aufwertete. Seither blieb kein Stein auf dem anderen.
Einige Stunden nach unserem Bericht fühlte sich der „Heute“-Anwalt und Verfassungsrichter Michael Rami zu einer geistreichen Wortmeldung inspiriert. Auf seinem persönlichen X.com-Account schrieb er:
„Manche hier auf X finden nichts dabei, Journalisten als ‚Rattler‘ zu bezeichnen. Mit derartigen Tiervergleichen wird die Sprache der Nationalsozialisten verwendet (Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus [2000] 618 ff). Sie kommt also aus dem ‚Wörterbuch des Unmenschen‘ (© Michael Wolffsohn). Ist das auch jedem bewusst? Den Tätern hoffentlich schon.“
Das gibt uns zu denken. Denn mit Nationalsozialismus kennt sich Rami aus wie kaum ein anderer Anwalt, jahrzehntelang vertrat er die FPÖ: von Jörg Haider über Heinz-Christian Strache bis Herbert Kickl. Die Sprache der Nationalsozialisten beherrscht Rami also auf C2-Niveau.
Die Vorwürfe des Verfassungsrichters wiegen deshalb schwer. Handelt es sich bei Günther R. etwa um einen Rechtsextremen? Muss sich Maria Windhager darauf einstellen, dass ihr Mandant möglicherweise sogar von Rami abgeworben wird?
Wir wollten der Sache auf den Grund gehen – und erwarben die eBook-Version des zitierten Werks. Wir lernten: Die Nationalsozialisten verwendeten genauso wie Ramis langjähriger Mandant, die FPÖ in Gedichten, durchaus Tiervergleiche wie „Ratte“ oder „Ungeziefer“, aber niemals Vergleiche mit lieben Hunden wie dem Zwergrattler. Das Wort „Rattler“ kommt im zitierten Werk gar nicht vor.
Wir recherchieren weiter und machen eine schockierender Entdeckung: nationalsozialistische Tiervergleiche auf einem bekannten Wiener Medium, dessen Namen wir aus Gründen des Täterschutzes unkenntlich machen mussten:
Prompt reagierten wir und beauftragten die schon immer antifaschistische Kanzlei Rami, den nationalsozialistischen Umtrieben ein Ende zu bereiten. Auf eine Antwort warten wir bis heute – wir gehen davon aus, dass die umfangreiche Klagsschrift gegen dieses rechtsextreme Stuhlblatt bald fertiggestellt ist – vielleicht sogar noch heute.
Die Verhandlung
Also was nun? Darf man zur „Heute“ nun Scheißblatt sagen, oder nicht?
Um das herauszufinden, fand sich die Tagespresse heute im Wiener Landesgericht ein, natürlich dem Anlass entsprechend eingekleidet:
Die Verhandlung selbst erwies sich als unspektakulär. Rami ließ sich von einem jungen, etwas schweigsamen Mitarbeiter vertreten. Weder Dichand oder Oistric wohnten dem Prozess bei – sie hätten ein Zusammentreffen mit dem Täter wohl nur schwer verkraftet.
Der Richter ließ Günther R. aussagen. Anschließend präsentierte seine Anwältin Maria Windhager noch einen Facebook-Kommentar unterhalb eines verlinkten „oe24.at“-Artikels, verfasst vor fünf Jahren – vermutlich gerade am Heisl sitzend – von einem gewissen „Heute“-Chefredakteur Clemens Oistric, festgehalten von einem Fan via Screenshot:
Es folgte ein prompter Freispruch.
Begründung: Es handle sich um eine zulässige Wertung, „die nicht substanzlos ist, sondern eine entsprechende Grundlage hat“. Der Prozess wurde für die „Heute“ zum Griff ins Klo. Die Gegenseite meldete sofortige Berufung an und will nun offenbar in zweiter Instanz prüfen lassen, ob die Meinungsfreiheit womöglich aufzuheben ist.
Zu guter Letzt bedanken wir uns nochmals bei all jenen, die Günther R. mit einer Spende unterstützten. Das Crowdfunding-Ziel war in unter drei Stunden erfüllt.
Wir bleiben dran!
Genial! Glückwunsch an Günther R. und seinen Freispruch!
(„Das Wiener Straflandesgericht Günther R. nicht rechtskräftig frei.“)
😉