Es fühlt sich an, als wäre es erst gestern gewesen: Am 6. September 2004 lag die erste „Heute“-Ausgabe kostenlos in Wiener U-Bahn-Stationen auf. Der Siegeszug der beliebtesten Sitzunterlage zwischen Floridsdorf und Siebenhirten begann – schon nach kurzer Zeit wurde sie in Wien zum Klopapier-Marktführer. Die Tagespresse gratuliert mit einer Sonderausgabe. Diese wurde heute morgen in fünfstelliger Auflage verteilt.
Niemand will an seinem Geburtstag arbeiten müssen. Wir wollen, dass sich die „Heute“-Redaktion heute einmal zurücklehnen und ihren großen Tag genießen kann.
Daher tauschen wir die Rollen und machen einen Tag lang die ganze Arbeit: Fakten verdrehen, Halbwahrheiten als Wahrheiten verkaufen, Kreuzworträtsel zusammenschustern, Inserate einsammeln und Förderungen kassieren, oder kurzum: Print-Luft schnuppern.
Der Umstieg auf Papier erweist sich für uns schwieriger als gedacht. Zwanzig Minuten brainstormen, fünf Absätze schreiben, Text online stellen, Feierabend um 10 Uhr vormittags – das alles spielt es in der Print-Branche nicht.
Ein Grafiker muss schlecht bezahlt werden, Promotoren, die das Ding verteilen, müssen noch schlechter bezahlt werden. Und plötzlich trudelt eine Rechnung einer sogenannten „Druckerei“ ein, die Geld will für „Papier“, was auch immer das sein soll (Tipps bitte in die Kommentare)?
Wochenlang arbeiten wir neben unserem ungelernten Job als Cyber-Schmierfinken nebenbei an der achtseitigen Heute-Ausgabe. Die echten Kollegen der „Heute“ brauchen für dreimal so viele Seiten nur einen Tag. Hut ab! Wie macht ihr das nur?
Herausgekommen ist eine einmalige, exklusive Ausgabe von „Heisl“, mit brandaktuellen Berichten über sexy Knallerthemen wie zum Beispiel: Wem gehört das „Heute“-Imperium? Wieso sitzt Heute teilweise in Liechtenstein? Und was genau ist die Periodika-Stiftung?
Am Abend des 5. Septembers werden zehntausende gedruckte Exemplare von der Druckerei angeliefert. „Können wir die jetzt eh einfach so in die Heute-Entnahmeboxen reinlegen, oder?“ Unser Anwalt, der über der Beantwortung der siebten FPÖ-Klage eingeschlafen ist, schreckt hoch und wirft uns mit kreidebleichem Gesicht einen vielsagenden Blick zu.
Dann geht es ans Verteilen. An zahlreichen U-Bahnstationen in ganz Wien postieren wir uns ab 7 Uhr früh. „Wollen Sie ein Heisl?“, fragen wir. Manchmal auch nur „Heisl?“, was zu spannenden Interaktionen mit der Wiener Bevölkerung führt.
Die Resonanz der Leserschaft ist gut. „Ui, noch ganz druckfrisch und warm, gut für die Hämorrhoiden“, lächelt ein Pensionist und legt sich eine Zeitung auf den U-Bahn-Sitz.
Ein Trafikant bittet gleich um 20 Exemplare zum Auflegen im Geschäft. Securitys vor der Landstraße-Mall wollen uns vertreiben, weil sie glauben, wir hätten keine Genehmigung. Irrtum! Wir sind doch keine Dilettanten.
Auch die hohe Beamtenschaft der Republik gehört informiert:
Am Ende unserer Schicht sind wir sichtlich gezeichnet von der Drecksarbeit:
Unser Ausflug in die Klopapier-Branche war ein kurzer. Während die „Heute“ gratis, aber umsonst ist, war unsere Aktion leider nicht gratis, aber dafür auch nicht umsonst: Immerhin konnten wir einige Bäume davor bewahren, eine „Heute“ zu werden. Aber ab heute gibt’s uns wieder nur online, versprochen. Zumindest bis zum nächsten runden Geburtstag. Wie lange gibt’s eigentlich oe24 schon?
PS: Einige hundert „Heisl“-Exemplare sind uns noch übrig geblieben. Diese werden wir als zusätzliches Premium-Geschenk zum Fotokalender dazulegen, bis sie uns ausgehen.
„Um junge Leute wieder zu erreichen: Opernball heuer erstmals mit Moshpit“🤘🤣
Hahaha, für mich die beste Textstelle