Etwa zwei Jahre lang hörte man nichts mehr vom „Sinnlosen Volksbegehren“, initiiert von der Tagespresse. Doch jetzt gibt es einen Erfolg zu vermelden: Dank einer historisch beispiellosen Kooperation mit dem Innenministerium könnte das „Sinnlose Volksbegehren“ das erste seit fast zwei Jahrzehnten werden, das tatsächlich zu einer Veränderung führt.
Blicken wir zurück: Im Frühjahr 2023 sammelte die Tagespresse erfolgreich über 12.000 Unterschriften für ein Volksbegehren mit dem Titel „Sinnloses Volksbegehren“. Volksbegehren sind in Österreich eine recht sinnlose Angelegenheit.
Selbst wenn alle 6,3 Millionen Wahlberechtigten unterschreiben würden, würde das für den Nationalrat nur die lästige Verpflichtung bedeuten, zur Geisterstunde irgendwelche unbedeutenden Hinterbänkler wie Christian Stocker (ÖVP) darüber diskutieren zu lassen.
Seit 1964 haben nur zwei Volksbegehren tatsächlich etwas bewirkt: Das ORF-Volksbegehren (1964) und das Anti-Atomvolksbegehren (1997). Doch der Eindruck täuscht: Viele Mandatare schätzen Volksbegehren als Chance für eine Klopause, um sich ein Schnitzelsemmerl zu holen oder für einen neuen Candy-Crush-Highscore.
Wir dachten uns: Auge um Auge, zahnlos um zahnlos! Wenn die Politik die Zeit von engagierten Bürgerinnen und Bürgern verschwendet, können wir auch einmal die Zeit der Politik verschwenden. Wir haben das „Sinnlose Volksbegehren“ offiziell beim Innenministerium angemeldet. Den Geldberg, den das BMI bei erfolgreichen Volksbegehren mit dem Füllhorn ausleert, wollten wir spenden.
Was danach geschah, kann nur als Paradebeispiel für Kooperation mit den österreichischen Behörden bezeichnet werden.
Hürdenlauf zum Erfolg
Schon nach der Anmeldung ging das Innenministerium über seinen gesetzlichen Auftrag hinaus und wies uns gnädigerweise auf „verfassungsrechtliche Bedenken“ mit unserem Antrag hin, ohne diese näher zu erläutern. Wir bedankten uns artig für den höflichen Tipp, aber ließen uns nicht abbringen.
Doch während seriöse Volksbegehren wie „EU STOPPEN SIE HAT MICH IMPOTENT GEMACHT!! BITTE VERLASS MICH NICHT RENATE“, „MASERNIMPFPFLICHT STOPP!!1 RADFAHRER IMPFEN UNS TOT!!!!!“ und „NEHAMER sofort VERHAFTEN! FÜR EINEN ANSCHLUSS AN RUSSLAND“ wie die Schafe brav nach den Regeln des Systems spielen und formal korrekte Einleitungsanträge stellen, spielt die Tagespresse 7D-Schach.
Jeder Antrag auf Einleitung braucht eine Bankbestätigung über die Existenz eines Kontos, auf dem alle Bevollmächtigte des Volksbegehrens nur gemeinsam zeichnungsberechtigt sind. Zur Abklärung schicken wir die Bestätigung unserer Bank vorab via E-Mail an das Innenministerium, das eine unpräzise Formulierung im Text beanstandet. Also schicken wir eine zweite, exakter formulierte Bankbestätigung, die dem BMI dann passt.
Nur dank der Liebe zum Detail in der Redaktion landete im Briefkuvert mit dem schriftlichen Einleitungsantrag die falsche Bestätigung – die, mit der unpräzisen Formulierung. Ein Geniestreich, wie sich herausstellen sollte.
Nun schlägt die legendäre, aus der Habsburgerzeit übernommene Bürgernähe der Beamtenschaft zu: Das Innenministerium weist unseren Antrag mit Hinweis auf die unpräzise Formulierung in der Bankbestätigung ab. Ein Verbesserungsauftrag sei „wegen der knappen Fristen“ von nur drei Wochen nicht möglich. Unseren Hinweis, wir könnten das vorhandene, korrekte und dem BMI bekannte Formular in 20 Minuten mit dem Taxi liefern, ignoriert das Ministerium.
Zweiten Antrag stellen? Nicht möglich. Denn was einmal abgewiesen ist, ist es aus juristischer Sicht aus und vorbei. Hier gebe es keinen Spielraum, dafür sei dieses Instrument der direkten Demokratie zu wichtig, betont das BMI. Unsere 12.000 Unterschriften landen also im Schredder, das Volksbegehren ist nach Ansicht des Ministeriums erledigt. Demokratie gerettet!
Rechtsmittelweg
Aber wir lassen nicht locker: Wir recherchieren mit unserem Anwalt und finden einige Merkwürdigkeiten im Bundesgesetz. Diese wurden noch nie gerichtlich auf Herz und Nieren überprüft, weil einfach noch niemand so blöd war, die falsche Bestätigung ins Kuvert zu stecken es einfach noch niemand versucht hat.
Während das Gesetz für Volksbegehren auf Länderebene den Bürgern sehr wohl Verbesserungsmöglichkeiten gewährt, sieht das auf Bundesebene anders aus. Kurzum: Das Innenministerium darf selbst bei kleinen Formalfehlern mit einem Einleitungsantrag machen, was es will – Smileys draufkritzeln, Papierflieger basteln, schreddern.
Wir reichen Beschwerde gegen den Bescheid beim Bundesverwaltungsgericht ein. Der Richter zündet seinen Turbo und macht 13 Monate erstmal gar nichts. Die gesetzliche Frist beträgt sechs Monate, aber vom Hudeln kommen ja bekanntlich die Kinder, außerdem ist die Datei riesig (1,3 MB) und muss erst extra aus dem neumodischen, noch sehr instabilen Internet heruntergeladen werden. Um in dieses einzusteigen, sind in der Justiz fünf Genehmigungen und sieben IT-Techniker notwendig.
Nach einem Fristsetzungsantrag vergehen nochmals vier Monate, ehe er unsere Beschwerde abweist. Begründung: Das Gesetz erlaubt dem BMI, zu machen, was es will, und es hat ja in unserem Fall zweifellos gemacht, was es will. Also passt schon alles – der Bescheid war rechtmäßig.
Damit ebnet der Richter endgültig unseren Weg zum Erfolg. Denn jetzt dürfen wir endlich den Verfassungsgerichtshof anrufen.
In unserem Fall wird der VfGH prüfen, ob das Volksbegehrengesetz wirklich so gedacht war, dass Bürgerinitiativen sofort und unwiderruflich an kleinen Formfehlern scheitern. Oder ob es vielleicht doch im Sinne der Demokratie sein könnte, Antragstellern die Chance zu geben, simple Irrtümer zu korrigieren.
Wir rechnen mit einer Entscheidung in sechs bis zwölf Monaten, Jahren, Dekaden, Eiszeiten, wer kann das schon wissen.
Wenn uns der VfGH recht gibt, hat das unmittelbar eine Teilaufhebung des Bundesvolksbegehrensgesetz zur Folge. Damit würde unser ursprünglich völlig sinnfreies Volksbegehren paradoxerweise einen der bedeutendsten demokratiepolitischen Erfolge seit Jahrzehnten erzielen – nämlich ein bürgerfreundliches Volksbegehrensgesetz.
Das wäre auch für das Innenministerium eine echte Premiere: Zum ersten Mal hätte es – ganz unbeabsichtigt – durch besonders penible Ablehnung und behördliche Übergenauigkeit die Demokratie nachhaltig gestärkt. Nach so einem Fiasko werden wohl Köpfe rollen. Ob Innenminister Karner das politisch überleben wird?
Teamwork
Wir bedanken uns herzlich beim BMI für die gute Zusammenarbeit und die Hürden, an denen wir wachsen durften. Vor allem aber bedanken wir uns bei den Tausenden Unterzeichner:innen des Sinnlosen Volksbegehrens. Ohne euch hätte der Antrag den Tisch eines BMI-Beamten nie gesehen – sondern wäre direkt im Papiermüll gelandet.
Unsere Initiative beweist: Mit vereinten Kräften und einem unerschütterlichen Glauben an die partizipative Demokratie lässt sich oft viel bewegen. Teamwork makes the dream work, viele Hände, schnelles Ende, zusammen ist man weniger allein, ein Team ist mehr als die Summe ihrer Teile, Kollaboration schlägt Konkurrenz.
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